Vom Tango zum Tango Argentino

der Río Plata

Der Tango – geboren im Río Plata

Der Geburtsort des Tangos liegt im Grenzgebiet zwischen Uruguay und Argentinien. Der Río Paraná und der Río Uruguay vereinigen sich hier zum Río Plata. Sein Mündungsgebiet ergießt sich über eine Länge von fast 300 km in den Südatlantik. Auf der nördlichen Seite des Río Plata, die zu Uruguguay gehört, liegt die Stadt Montevideo. Das südliche Ufer ist argentinisches Staatsgebiet. Hier befindet sich die Millionenmetropole Buenos Aires.

Ab Mitte des 19. Jahrhundert legten hier die Schiffe an, die Millionen Auswanderer aus Südeuropa nach Buenos Aires brachten. Argentinien versuchte diesen Menschenmassen durch ein spezielles Einwanderungsprogramm ein neues Zuhause und eine Grundlage zum Leben zu geben. Die dafür notwendige Landreform scheiterte allerdings am Widerstand der Landbesitzer. In der Folge blieben Millionen von Menschen, hauptsächlich Männer, arbeits- und hoffnungslos in Buenos Aires gestrandet zurück. Gleichzeitig wurde nach und nach das Ende der Sklaverei durchgesetzt. Viele Sklaven, hauptsächlich mit afrikanischen Wurzeln, waren zwar auf einmal frei, aber auch arbeitslos auf der Straße. Auch die argentinischen Gauchos wurden durch veränderte Tierhaltung in großer Zahl arbeitslos. Sie alle bildeten den Schmelztiegel, in dem eine neue Musikrichtung entstehen konnte.

Der Zusammenfluss der verschiedenen musikalischen Einflüsse

Alle diese Menschen brachten ihre eigenen Geschichten, Traditionen und Musik mit nach Argentinien. Die Deutschen tanzten gerne Vals und den Ländler. Polen und Böhmen lieferten die Mazurka und die Polka.  Aus Kuba stammte die Habanera. Den Candombe mit seinen afrikanischen Wurzeln, brachten die Kreolen mit. Alle diese Einflüsse vermischten sich mehr und mehr. So entstand schließlich eine Musikform im 2/4 Takt: die Milonga.  Einen wichtigen Beitrag lieferte in der Folge auch das Auftauchen des Bandonéons, einer Art Handorgel mit 144 Tönen, die der deutsche Musiklehrer Heinrich Band entwickelt hatte.

Der Begriff Milonga ist in vielerlei Hinsicht mehrdeutig und kann sowohl den Tanz an sich wie auch die Tanz-Veranstaltung oder die Bar bzw. das Tanzlokal beschreiben.

Die Milonga als Tanz

Auch wenn die Lebensumstände der Menschen in Buenos Aires in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sicherlich sehr schwierig waren, erhielt sich diese Musik dennoch ihre leichte und fröhliche Grundstimmung. Daher wird die Milonga manchmal auch die „fröhliche Schwester des Tangos“ genannt. Die Milonga wird bis heute in einer lockeren Tanzhaltung getanzt. Sie zeichnet sich durch eine betonte Körpersprache aus. Die Musik folgt einem festen, melodischen Rhythmusmuster, das in die milonga lisa und die milonga traspié unterteilt werden kann. Die Liedtexte handeln oft von einer gescheiterten Liebesbeziehung, die aber dennoch überwunden werden kann.

Die Milonga als Veranstaltung

Milongueros und Milongueras tanzen sehr rücksichtsvoll und in parallelen Runden, die entgegen dem Uhrzeigersinn verlaufen. Die Musik wird von DJs in Tandas, also in „Tanzrunden“, gespielt. Dabei werden 3-4 ähnliche Stücke gespielt, zu denen getanzt wird. Im Anschluss ertönt eine „Cortina“, ein nicht tanzbares Stück, das eine Tanzrunde beendet und eine neue einleitet. In dieser Pause fordern Männer ihre gewünschten Tanzpartnerinnen per Blickkontakt aus der Ferne auf. Die Frauen können dieser Aufforderung nachkommen oder durch Vermeidung des Blickkontaktes ablehnen. Auch können Frauen ihrerseits Männer auffordern. Diese Tanzaufforderung aus der Ferne nennt sich „Cabeceo“.

eine gut besuchte Milonga

Die Milonga als Tanzort

Bis heute treffen sich Tangotänzer, Milonga-Tanzpaare und Vals-Liebhaber gerne in so genannten Milongas, um ihre Tanzleidenschaft auszuleben. Das können Bars, Lokale oder Clubs sein, in denen diese Musik gespielt wird. Hauptsache, es gibt ein bisschen Platz zum Tanzen.

Tango auf der Straße

Der Tango Argentino

Der Tango Argentino entwickelte sich aus der Milonga heraus und wurde zur „Milonga mit Schnitten und Brüchen“ wie Vincente Rossi es einmal bezeichnete. Die Musik wurde ernster, tragischer und folgte keinem festen Rhythmusmuster mehr. Die Liedtexte erschienen immer schwermütiger und machistischer. Enrique Santos Discépolo wird der Satz zugeschrieben: „Der Tango ist ein trauriger Gedanke, den man tanzen kann.“ Damit wurde der Tango Argentino zum getanzten Ausdruck der großen Not und menschlichen Einsamkeit der vielen unterschiedlichen Hafenbewohner von Buenos Aires. Da er als Tanz der Armen galt, wurde er von der argentinischen Oberschicht am Anfang bestenfalls ignoriert, wenn nicht sogar verachtet.

Tangopaar in einer Drehung

Der Tango Argentino als Tanz

Die Tanzhaltung des Tango Argentino ist seit Beginn sehr aufrecht und am Oberkörper sehr eng aneinandergedrückt. Wurde die Dame früher von einem hohen Arm umarmt und gegen unabsichtliche Zusammenstöße mit anderen Tanzpaaren geschützt, so kann der Arm nun auch tiefer liegen.  Geführt wird die Dame mit dem Brustkorb. Die Argentinier nennen das „de corazón a corazón“. In dieser Haltung beginnt das Tanzpaar aufeinander abgestimmt mit einem Gehen. Als Improvisationstanz folgt der Tango keiner festgelegten Choreografie, sondern den Emotionen der Tänzer. Dadurch wird jeder Tango Argentino mit jedem neuen Partner, unterschiedlichen Stimmungen und verschiedener Musik unterschiedlich getanzt.

Die Chronik des Tangos

Die erste Blütezeit des Tangos lag zwischen 1865 und 1895. Der erste große Tangohit stammt aus dem Jahr 1888: „Dame la plata“ (Gib mir das Geld). In den 1910er und 1920er Jahren wurde der Tango sehr populär. Die anschließenden 1930er und 1940er Jahre gelten bis heute als das goldene Zeitalter des Tangos. Der argentinische Präsident Juan Domingo Perón förderte den Tango als Ausdrucksmöglichkeit der unterprivilegierten Arbeiterschicht. Bald wurde er von der gesamten Bevölkerung getanzt. Zu Zeiten der Militärdiktatur zwischen 1976 und 1983 wurde der Tango aufgrund von Versammlungsverboten nur noch verbotenermaßen in versteckten Milongas getanzt. Seit den 1980er Jahren erlebt der Tango Argentino aber eine begeisterte Renaissance. Anfang der 2000er Jahre nehmen geschätzte 150.000 Menschen in Buenos Aires regelmäßig Tango-Unterricht. Wieder in Mode gekommen sind auch die „Códigos de Milonga“, also die „Anstandsregeln“ nach denen auf einer Milonga getanzt und zum Tanz aufgefordert wird.